Wolfgang Weigand
Beispiele aus meiner Praxis
Peter M., ein 50jähriger Bäcker, hat Suizid begangen. Seine Witwe backt einen Zopf, wir essen ihn schweigend gemeinsam am Grab.
Urs B., hat 3 Enkelkinder, für die er immer wieder Holzspielzeug geschnitzt hat. Jedes Kind legt ihm eine kleine Holzlokomotive ins Grab und wünscht ihm damit eine gute Reise.
Petra K. war beim Bergsteigen tödlich verunglückt. An der Stelle, wo man ihren Rucksack gefunden hatte einige Zeit später, wird ein kleiner Stein aufgestellt mit der Inschrift: «in memoriam P.» Darauf zu sehen ist ein kleiner Kolkrabe, Symbol für den Übergang vom Diesseits ins Jenseits, da in vielen Sagen und Märchen der Kolkrabe aufgrund seiner besonderen Begabungen Botschaften aus dem Jenseits überbringt. Petra K. war auch in ihrem Leben eine Vogelkundlerin. Wir stehen schweigend um den Gedenkstein, hören Panflöten-Klänge und betrachten eine Wanderkarte der Region: wohin führen mich meine eigenen Wege? Wo bin ich in Gefahr, «abzustürzen», welche «Täler» muss ich durchschreiten, welchen Panorama-Blick ersehne ich?
Anna Maria kommt schwer behindert zur Welt und wird nur 6 Wochen alt. Ihr grösserer Bruder (dreijährig) hat ihr immer wieder Spielsachen ins Bettchen gelegt. Ein Tag vor ihrem Tod «überreicht» er seiner kleinen Schwester einen Luftballons, damit sie «gut fliegen» könne. Hat er das geahnt? Kindliche Intuition? Verborgenes seelisches Wissen? In der Abschiedsfeier erhielt jeder grosse und kleine Gast einen Luftballon, Symbol für das Leichte, das Schwebende...
Ruedi K. war ein Künstler, der sich v.a. mit Tonarbeiten beschäftigte. Am Grab trinken wir gemeinsam Tee, eingegossen in von ihm getöpferte kleine Tassen. Vor der Urne stand ein roher Klumpen Ton, noch unbearbeitet. Wir alle machen uns Gedanken: was wollen wir formen, entwickeln, gestalten? Und was hat Ruedi durch seine Art zu leben, zu denken und zu sterben in uns geformt, vielleicht auch weiterentwickelt?
Klara M. stirbt hochbetagt. Sie hat ein schweres Leben hinter sich mit vielen Schicksalsschlägen. Im Alter hat sie oft italienische Liebesromane gelesen. Das war so etwas wie eine schöne, ja vielleicht auch «kitschige» romantische Gegenwelt zu ihrem Alltag. Bei der Abschiedsfeier nimmt ihr Sohn einen solchen Roman mit, reisst einzelne Seiten heraus und übergibt jedem Anwesenden eine Seite. Sie steht für das Schöne, das Liebevolle, vielleicht auch für das Unbeschwerte.
Oliver K. war drogensüchtig. Er stirbt noch sehr jung. Es sind ganz viele Menschen da mit grosser Betroffenheit. Er war immer auf der Suche und ist doch nie so richtig im Leben angekommen. Für das Ankommen, das «sich-zuhause-fühlen» nehmen wir verschiedene Symbole aus seinem Leben und erzählen damit noch einmal sein Leben. Jetzt ist er auf seiner letzten Reise...
Magdalena B. stirbt in hohem Alter. Sie war eine liebenswürdige Frau und sehr beliebt in ihrer Nachbarschaft und natürlich auch in ihrer grossen Familie. Gerade unter den Frauen ihrer Nachkommen (2 Töchter, 7 bereits erwachsene Enkelkinder und einige Urenkel) wurde sie als «weise Frau» verehrt. Wir verteilen an alle anwesenden Trauergäste ein kleines Schoggi-herz, das das «grosse Herz» von Magdalena symbolisiert – und das für ihr «Lebensmotto» steht, sich jeden Tag bewusst etwas Gutes zu gönnen.
Peter M. stirbt sehr jung. Sein Suizid ist für die ganze Familie ein grosser Schock, aber kommt nicht völlig unerwartet. Peter war Musiker aus Leidenschaft, v.a. Gitarrist. Wir verteilen an alle Gäste ein Gitarrenplektrum – und lauschen nochmals der Musik, die ihm so viel bedeutet hat.
Maria P. hatte afrikanische Freunde, da sie in einem Hilfsprojekt sehr engagiert war. Sie starb überraschend früh an einem Herzinfarkt. 2 Sänger aus Kenia stimmen «Kumbayah» am Grab an; alle Gäste singen mit, ein langer, mehrstimmiger Chor begleitet Maria´s Urne. Danach ist Schweigen; das Lied hat alle sehr berührt. Es braucht fast keine Worte mehr.