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Texte, Nachdenkliches, Gedichte...

Am Strande

Heute sah ich wieder dich am Strand
Schaum der Wellen dir zu Füssen trieb.   
Mit dem Finger grubst du in den Sand   
Zeichen ein, von denen keines blieb.

Ganz versunken warst du in dein Spiel
mit der ewigen Vergänglichkeit,
Welle kam und Stern und Kreis zerfiel,
Welle ging und du warst neu bereit.

Lachend hast du dich zu mir gewandt.
ahntest nicht den Schmerz den ich erfuhr:
denn die schönste Welle zog zum Strand
und sie löschte deiner Füsse Spur

Marie-Luise Kaschnitz


Weil du nicht da bist

Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe
all meine Einsamkeit auf ein Papier.
Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe,
die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.

Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.
Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an
mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,
dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.

Hier sitz ich unterm Dach beim Lampenschimmer,
den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt.
November singt in mir sein graues Lied.
"Weil du nicht da bist" flüstert es im Zimmer.

Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen
und weck vergilbte Träume, die schon schliefen.
Mein Lachen, Liebster, ist dir nachgereist.
Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.

Mascha Kaléko


Der Tod ist gross

Der Tod ist gross.
Wir sind die Seinen
Lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen
Wagt er zu weinen
Mitten in uns

Rainer Maria Rilke


Fragen

Was auch immer geschehen mag –
Du musst die Fragen selber lieb gewinnen,
so wie verschlossene Stuben
wie Bücher,
die in einer fremden Sprache geschrieben sind.
Und dann
Lebst du vielleicht
Eines Tages,
in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke


Das Segelschiff

Ein Segelschiff gleitet in die offene See hinaus. Du siehst, wie es kleiner wird. Da, wo sich Wasser und Himmel treffen, verschwindet es. Da sagt jemand: nun ist es gegangen! Ein anderer sagt: nein, es kommt gerade! Der Tod ist ein Horizont und ein Horizont ist nichts anderes als die Grenze unseres Sehens....

unbekannt


Der Weg

Ich kann nicht mehr sehn,
trau nicht mehr meinen Augen.
Kann kaum noch glauben,
Gefühle haben sich gedreht.
Ich bin viel zu träge um aufzugeben.
Es wäre auch zu früh,
weil immer was geht.

Wir waren verschworen,
Wären füreinander gestorben.
Haben den Regen gebogen,
uns Vertrauen geliehen.
Wir haben versucht,
auf der Schussfahrt zu wenden.
Nichts war zu spät,
Aber vieles zu früh.

Wir haben uns geschoben,
durch alle Gezeiten.
Wir haben uns verzettelt,
uns verzweifelt geliebt.
Wir haben die Wahrheit so gut es ging verlogen.
Es war ein Stück vom Himmel,
dass es dich gibt.

Du hast jeden Raum mit Sonne geflutet.
Hast jeden Verdruss ins Gegenteil verkehrt.
Nordisch nobel deine sanftmütige Güte.
Dein unbändiger Stolz,
das Leben ist nicht fair...

Den Film getanzt in einem silbernen Raum.
Vom goldnen Balkon die Unendlichkeit bestaunt.
Heillos versunken, trunken,
weil, alles war erlaubt.
Zusammen im Zeitraffer,
Mittsommernachts-Traum.

Dein sicherer Gang,
Deine wahren Gedichte.
Deine heitere Würde,
Dein unerschütterliches Geschick.
Du hast der Fügung deine Stirn geboten.
Hast ihn nie verraten,
deinen Plan vom Glück,
deinen Plan vom Glück.

Ich geh hier nicht weg,
Hab meine Frist verlängert.
Neue Zeitreise, offene Welt.
Habe dich sicher in meiner Seele.
Ich trag dich bei mir bis der Vorhang fällt.

Herbert Grönemeyer


Jetzt da du Abschied bist

Jetzt, da Du Abschied bist, nicht mehr Beginn,
verzehr ich mich nach Dir wie nie zuvor,
entdeckt sich unsrer Liebe wahrer Sinn
und dass ich, was ich nie besass, verlor,
jetzt da Du Abschied bist, nicht mehr Beginn.

Dass immer erst ein Schrecken uns besinnt
und erst beim Abschiednehmen Tränen fliessen,
und dass die Zeit so unser Leben weiterspinnt,
dass man nicht halten kann und kaum geniessen,
was flüchtig Wunder war und stets entrinnt.

Dass man die Liebe stets aufs Neue lernen muss,
und immer nach dem Auseinandergehen
alles so klein wird, was Verrat war und Verdruss,
und alles gross, was aus Verzauberung geschehen,
dass man die Liebe stets aufs Neue lernen muss.

Erst seit Du Abschied bist, nicht mehr Beginn,
erahne ich, wie Du mich immer fingst,
wenn ich verlor, was mich bestimmt, und wer ich bin,
Dich lieben lernte ich erst als Du gingst,
erst seit Du Abschied bist, nicht mehr Beginn.

Konstantin Wecker, aus: Wenn du fort bist (1994), Liebeslieder (1999)