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Abschiedsfeiern

Texte für verstorbene Kinder

Gute Kinder sterben früh; ihnen sind die Engelsflügel nicht abgeschnitten.
Wilhelm Busch



Der Engel

Schick mir keinen Engel
der alle Dunkelheit bannt
aber einen
der mir ein Licht entzündet.

Schick mir keinen Engel
der alle Antworten kennt
aber einen,
der mit mir
die Fragen aushält.

Schick mir keinen Engel
der allen Schmerz wegzaubert
aber einen
der mit mir Leiden aushält.

Schick mir keinen Engel
der mich über die Schwelle trägt
aber einen
der in dunkler Stunde noch flüstert:
Fürchte dich nicht…
Elisabeth Bernet


Beim Aufgang der Sonne und bei ihrem Untergang
erinnern wir uns an dich
Beim Öffnen der Knospen und in der Wärme des Sommers
Erinnern wir uns an dich.
Beim Wehen des Windes und in der Kälte des Winters   
Erinnern wir uns an dich
Wenn wir müde sind und Kraft brauchen,
erinnern wir uns an dich.
Solange wir leben, wirst du auch leben,
denn du bist ein Teil von uns,
wenn wir uns an dich erinnern…
Gebet einer indianischen Frau, die ihr Kind verloren hat



Augenspiel

Jetzt bist du schon gegangen, Kind
und hast vom Leben nichts erfahren,
indes in unseren welken Jahren
wir Alten noch gefangen sind.

Ein Atemzug, ein Augenspiel,
der Erde Luft und Licht zu schmecken,
war dir genug und schon zu viel,
du schliefest ein, nicht mehr zu wecken.

Vielleicht in diesem Hauch und Blick
sind alle Spiele, alle Mienen
des ganzen Lebens dir erschienen,
erschrocken zogst du dich zurück

Vielleicht, wenn unsere Augen
einmal erlöschen, wird uns scheinen,
sie hätten von der Erde
nicht mehr gesehen als die deinen.
Hermann Hesse



Der kleine Prinz

Der kleine Prinz sagte zu mir:
  «Auch ich werde heute nach Hause zurückkehren...»
Dann schwermütig:
  «Das ist viel weiter... Das ist viel schwieriger...»
Ich fühlte wohl, daß etwas Außergewöhnliches vorging. Ich schloß ihn fest in die Arme wie ein kleines Kind, und doch schien es mir, als stürzte er senkrecht in einen Abgrund, ohne daß ich imstande war, ihn zurückzuhalten...
Sein Blick war ernst; er verlor sich in weiter Ferne…
   «Kleines Kerlchen, ich will dich noch lachen hören...»
Aber er sagte zu mir:
   «Du wirst in der Nacht die Sterne anschauen. Mein Zuhause ist zu klein, um dir zeigen zu können, wo es   umgeht. Es ist besser so. Mein Stern wird für dich einer der Sterne sein. Dann wirst du alle Sterne gern
   anschauen... Alle werden sie deine Freunde sein. Und dann werde ich dir ein Geschenk machen...»
Er lachte noch.
   «Ach! Kleines Kerlchen, kleines Kerlchen! Ich höre diese Lachen so gern!»

   «Gerade das wird mein Geschenk sein...»
   «Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf
   einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben,
   die lachen können!»
Und er lachte wieder.
   «Und wenn du dich getröstet hast (man tröstet sich immer), wirst du froh sein, mich gekannt zu
   haben. Du wirst immer mein Freund sein. Du wirst Lust haben, mit mir zu lachen...»
Und er lachte wieder. …
Dann wurde er wieder ernst:
   «Diese Nacht... weißt du... komm nicht!»
   «Ich werde dich nicht verlassen.»
   «Es wird so aussehen, als wäre ich krank... ein bisschen, als stürbe ich. Das ist so. Komm nicht
   das anschauen, es ist nicht der Mühe...»

Ich habe es nicht gesehen, wie er sich in der Nacht auf den Weg machte. Er war lautlos entwischt. Als es mir gelang, ihn einzuholen, marschierte er mit raschem, entschlossenem Schritt dahin.
Er sagte nur:
   «Ah, du bist da...»
Und er nahm mich bei der Hand. Aber er quälte sich noch:
   «Du hast nicht recht getan. Es wird dir Schmerz bereiten. Es wird aussehen, als wäre ich tot,
   und das wird nicht wahr sein...»
Ich schwieg.
   «Du verstehst. Es ist zu weit. Ich kann diesen Leib da nicht mitnehmen. Er ist zu schwer.»
Ich schwieg.
   «Aber er wird daliegen wie eine alte verlassene Hülle. Man soll nicht traurig sein um solche alten Hüllen...»
Ich schwieg.
Er verlor ein bisschen den Mut. Aber er gab sich noch Mühe:
   «Weißt du, es wird allerliebst sein. Auch ich werde die Sterne anschauen. Alle Sterne werden Brunnen
   sein mit einer verrosteten Winde. Alle Sterne werden mir zu trinken geben...»
Ich schwieg. Und auch er schwieg, weil er weinte...
Dann tat er einen Schritt. Er schrie nicht. Er fiel sachte, wie ein Blatt fällt. Ohne das leiseste Geräusch fiel er in den Sand.

Und jetzt sind es gewiss schon wieder sechs Jahre her... Ich habe diese Geschichte noch nie erzählt. Jetzt habe ich mich ein bisschen getröstet. Das heißt... nicht ganz. Aber ich weiß gut, er ist auf seinen Planeten zurückgekehrt.

Antoine de Saint-Exupéry, aus Kapitel XXVI und XXVII